Beim Comeback in die Weltspitze: Ski-Freestylerin Emma Weiß im großen Interview

18.12.2020 Von Larissa Bühler

© Bär

Emma Weiß sorgte zum Weltcup-Auftakt für eine handfeste Überraschung: Beim Comeback nach langer Verletzungspause lieferte die Albstädter Ski-Freestylerin eine überragende Leistung – und wurde mit Platz zwei belohnt. Es war das beste deutsche Ergebnis in 20 Jahren.

Am ersten Weltcup-Wochenende in Ruka sorgte Emma Weiß für Furore. Das Comeback der Albstädter Ski-Freestylerin lief hervorragend: Zum ersten Mal überhaupt erreichte sie das Finale der besten Sechs – und sprang dort mit einem „Full-Full“ (Doppelsalto mit zwei Schrauben) auf Rang zwei.

Mit 80,95 Zählern schraubte sie ihre bisherige persönliche Bestleistung deutlich nach oben. Vergangene Woche folgte dann ebenfalls in Ruka der erste Europa-Cup, wo mit 74,82 und 76,23 Punkten jeweils die Plätze vier und sieben zu Buche standen.

Frau Weiß, herzlichen Glückwunsch zu Ihren Leistungen in Ruka. Wie fällt mit etwas Abstand ihr Fazit zum Weltcup aus?

Emma Weiß: Ich glaube, ich habe es immer noch nicht ganz realisiert (lacht). Es war natürlich brutal, was da am 4. Dezember passiert ist. Damit haben weder ich noch mein Umfeld gerechnet. Ich habe meine bestmögliche Leistung – und eigentlich noch viel mehr – an diesem Tag abrufen können. Der zweite Platz ist wirklich ein brutales Ergebnis. Es ist mein erstes Podium bei meinem ersten Wettkampf nach meiner Verletzung. Es war mein erstes Finale, mein erstes Super-Finale – das waren ganz viele erste Male auf einmal.

Mit welchem Gefühl gingen Sie in den Wettkampf?

Ich hatte schon ein gutes Gefühl. Nach der Quali morgens sind wir noch einmal zurück in unser Apartment. Und als ich da als Neunte ins Finale gekommen war, hatte ich schon ein leichtes Bauchgefühl, dass es an diesem Tag etwas Gutes werden könnte. Ich habe mir dann einfach vorgenommen, dass ich meine schönsten Sprünge zeige. Mein Trainer und ich haben uns im Vorfeld eine Strategie überlegt, wie wir den Wettkampf angehen. Und schlussendlich war das die absolute richtige. Man muss im Finale und im Super-Finale ja zwei verschiedene Sprünge machen – und ich hatte so am Ende meinen schwierigsten Sprung noch übrig. Und das hat sich absolut ausgezahlt. Den „Full-Full“ hab ich drei Tage vorher überhaupt das erste Mal im Schnee gemacht, insgesamt habe ich sechs „Full-Fulls“ vor dem Wettkampf sprungen. Und der, den ich im Super-Finale gemacht habe, war überragend.

Wie haben Sie die Stunden und Tage danach erlebt?

Mein Handy ist förmlich explodiert. Ich habe direkt an der Schanze noch mit Adrian Schlegel, meinem langjährigen Trainingspartner, und mit meinen Eltern telefoniert. Alle konnten es gar nicht fassen, haben nur noch Freudentränen geweint. Es war wirklich total emotional. Alle sind komplett ausgerastet. Überhaupt haben mir ganz viele Leute gratuliert, auch viele, die ich nicht einmal kenne. Es ist einfach ein richtig schönes Gefühl, wenn sich die harte Arbeit im Wettkampf auszahlt – und das dann so auf einmal.

Am vergangenen Wochenende absolvierten Sie – ebenfalls in Ruka – auch zwei Europacups . . .

Da bin ich mit beiden Ergebnissen mehr als zufrieden. Wir hatten das gleiche Feld an Startern, die wir im Weltcup hatten. Es war gut zu sehen, dass ich meine Leistung noch einmal abrufen konnte. Aber es war ein bisschen schade, dass ich am zweiten Tag das Finale um 0,3 Punkte verpasst habe. Trotzdem habe ich bewiesen, dass die Weltcup-Leistung kein Ausrutscher war, sondern dass es etwas ist, dass ich wieder abrufen kann. Das hat meinem Selbstvertrauen noch einmal einen Push gegeben.

Nach den starken Ergebnissen sind nun viele Augen auf Sie gerichtet, setzt Sie das unter Druck?

Ich bin eigentlich recht gut darin, mit solchen Situationen umzugehen. Ich arbeite nicht mit einem Mentaltrainer zusammen, das mache ich alles für mich. Ich würde sagen, dass ich psychisch relativ stark bin – und vor allem sehr wettkampfstark, was mir dann auch in solchen Situationen zugute kommt. Es ist natürlich schön, dass so viele Augen auf einen gerichtet sind. Aber schlussendlich mache ich den Sport für mich und nicht für andere. Ich liefere einfach meine bestmögliche Leistung. Wenn es dann gut läuft, ist das super. Und wenn es nicht läuft, muss man einfach gucken, woran es gelegen hat und wo man sich für das nächste Mal wieder verbessern kann. Diese Selbstreflexion, die dann stattfindet, ist sehr wichtig.

In Ruka absolvierten Sie ihre ersten Wettkämpfe nach langer Pause, 2019 wurden Sie von einer Verletzung gestoppt . . .

Ich habe mir meinen Oberarm gebrochen. Das war ein recht komplizierter Bruch, später musste dann auch noch einmal operiert werden, weil ich eine Entzündung an der Bizepssehne hatte. Danach war es dann aber sofort besser, am nächsten Morgen konnte ich sogar trainieren. Da habe ich dann schon ein paar Sachen gemacht. Ich war logischerweise davor auch schon im Aufbau – soweit es eben ging. Ich hatte eben bei den Rückwärtsbewegungen in der Schulter Schmerzen.

Und dann kam Corona?

Genau, aber das hat mich zum Glück nicht so arg eingeschränkt. Zu Hause ist schließlich mein Papa mein Trainer, wir konnten dann zweimal am Tag in seinem Ballettstudio trainiert. Da haben wir schon ziemlich viele Möglichkeiten. Das war für mich natürlich ein entscheidender Vorteil. Ich konnte dann ziemlich genau perfekt zum Sommertraining wieder voll einsteigen. Mit einer Sondergenehmigung konnte ich relativ problemlos in der Schweiz mittrainieren. Da arbeiten wir ja immer an der Wasserschanze in Mettmenstetten.

Wie sehen die Trainingsumfänge im Sommer aus?

Wir trainieren meistens bis Ende September auf der Wasserschanze, manchmal sogar bis Anfang Oktober. Im Sommer war ich Mittwochs bis Samstag eigentlich immer in der Schweiz, wo wir zweimal am Tag auf die Schanze gehen. Außerdem gibt es Bungee-Training auf dem Trampolin und Krafttraining. Sonntags hatte ich meistens frei und Montags und Dienstag jeweils zwei Einheiten zu Hause gemacht. Sommertraining ist mindestens genauso wichtig wie das Wintertraining – wenn nicht sogar noch wichtiger. Das liegt daran, dass wir im Sommer die gleichen Schanzen haben wie im Winter, aber wir einfach viel größere Anzahlen an Sprüngen machen können. Es ist einfach sehr viel unkomplizierter. Im Winter ist das alles mit mehr Aufwand verbunden, außerdem müssen die Schneeverhältnisse stimmen, der Wind beeinflusst den Ablauf . . . Im Sommer werden die Grundlagen gelegt, man kann viel explizierter an Details arbeiten als im Winter. Wenn du in den Schnee gehst, muss dein Sprung so gut sitzen, dass du einfach reagieren kannst, wenn dich zum Beispiel eine Windböhe erwischt.

Wie sind die Trainingsabläufe im Winter – abseits der Wettkämpfe?

Da müssen wir nach dem Warm-Up meistens erst noch den Hang vorbereitet. Dann werden Speedchecks gemacht, dann wird gesprungen – und danach geht es noch ins Krafttraining. Und im Anschluss gibt es dann meistens noch Physio und Ostheo, und dann besprechen wir die Sprünge noch im Video. Da beraten wir, woran am nächsten Tag noch gearbeitet wird.

Inwieweit beeinflusst Corona die Wettkampfabläufe?

Es ist schon etwas schwieriger als sonst. Wenn man mich gefragt hat, ob ich nach Finnland gehe, habe ich immer gesagt ‚Ich weiß es nicht, ich sage es dann wenn ich dort stehe‘ (lacht). Denn der Ablauf hat sich immer wieder verändert. Wir müssen ab zehn Tage vor dem Wettkampf aufzeichnen, wo wir uns aufhalten. Zudem gibt es immer einen Test vor den Wettkämpfen. Erst wenn der negativ ist, sind wir zum offiziellen Training und zum Wettkampf zugelassen. Das offizielle Training ist meistens drei bis vier Tage vor dem Wettkampf, normalerweise reisen wir auch genauso an. In Ruka waren wir schon etwas früher, haben das Trainingscamp davorgehängt.

Wie sehen langfristig Ihre Pläne aus?

Mein nächstes Ziel ist die Olympiade 2022 in Peking. Dafür will ich mich qualifizieren. Da startet im Januar die internationale Quali, die nationale dann erst in der Saison selber. In Peking will ich meine ersten Olympischen Spiele bestreiten. Langfristig will ich mich im Weltcup in den vorderen Rängen etablieren. Das sind so die Platzierungsziele.

Und welche Ziele verfolgen Sie bei den Sprüngen?

Ich habe im Sommer meinen ersten Dreifachsprung gemacht. Das möchte ich weiter trainieren und dann auch im Wettkampf abliefern. Ich weiß nicht, ob es nächstes Jahr schon reicht, aber vermutlich dann in zwei Jahren. Da wäre ich dann die dritte Deutsche, die jeweils einen ‚Dreifach‘ im Winter gemacht hat.